Liebe zur Dissonanz. Die Videokünstlerin Christine de La Garenne, Deutschlandradio Kultur/Profil
Erst seit anderthalb Jahren lebt Christine de La Garenne in Berlin. Dennoch gehört sie schon längst zu jener Elite junger Berliner Künstler, deren Werke weltweit gefragt sind. In ihren Videoarbeiten entlarvt sie Attribute wie Anmut und Harmonie und zeigt die schreckliche Seite des Schönen.
Von der viel befahrenen Straße, an der Christine de La Garenne wohnt, dringt kein Ton in ihr Atelier. Das Haus liegt im Hinterhof. Aus den Boxen schallen die schrillen Strophen eines Songs der Shaggs.
„Man nennt sie die schlechteste Rock-and-Roll-Band aller Zeiten, ich finde sie aber ziemlich gut. Es sind drei Schwestern. Interessant finde ich, dass sie eine ganz eigene Art von Musik entwickelt haben, die all die Dinge außer acht lässt, die in der Musik wichtig sind, Rhythmus zum Beispiel oder Zusammenspiel, das scheint nicht zu weit zu kommen, aber das hat eine eigene Qualität.“
Christine de La Garenne liebt Dissonanzen – zumal in der Kunst. Was man der zierlichen, feschen Person auf den ersten Blick vielleicht nicht zutrauen würde. Sie hat schwarzes schulterlanges Haar, fein geschnittene Gesichtszüge und braune Augen, in denen oftmals ein keckes Lächeln huscht. Es ist ihr aber ernst damit, wenn sie die Erwartungen unterläuft, die meist an das Kunstwerk herangetragen werden: Schönheit? Harmonie? In ihrer neuesten Arbeit, „Heute Formalismus“, zeigt Christine de La Garenne, wie einfach die beliebten Kunst-Attribute zu haben sind – und wie beliebig! Über eine schwarze Leinwand bewegen ihre Hände regenbogenfarbig leuchtende Stäbchen und fügen sie zu geometrischen Formen zusammen.
Über das Stück „Verstörung“ von Falk Richter, WDR3/ Resonanzen
Autorin
“Ich bin dann vor die Kamera gegangen. Ich habe von mir erzählt. Und ich hatte das erste mal in meinem Leben ein Gefühl. Wirklich. Live. Zu. Sein.“ So sprach 1996 die Protagonistin von Falk Richters Stück-Trilogie “Kult“: eine Fernsehmoderatorin, die labil hin und her schlitterte zwischen Selbstentblößung und Sätzen aus der Medienunterhaltungsmülltüte. Ihre Identität: eine Konstruktion, von der Kameraeinstellung abhängig und stets einstürzgefährdet. Ihr Leben: pure Virtualität. Fiktion, mit Einsprengseln eines Ichs befleckt, das hie und da an der Borderline auftaucht. Es waren die Neunziger, und der damalige Jungdramatiker Falk Richter brachte das Lebensgefühl einer Generation zu Protokoll, die auf der überquellenden, sich täglich reproduzierenden Halde der Medienbilder schlingernd nach einem möglichen Selbstbild suchte. Und deren größter Selbstbehauptungsakt darin bestand, der Medienindustrie das eigene Leben als Kunstwerk zu verkaufen, so Falk Richter:
O-Ton, Track 68
… selbst verantwortlich zu arbeiten und eher den Weg ins Künstlertum zu gehen, daß sie sich selber als Kunstwerk vermarkten. Die Figuren waren letztlich immer im kapitalistischen Markt so vernetzt, und hatten das Problem, daß sie sich selbst als Produkt und als Ware benutzen und trotzdem versuchen, authentisch zu sein, echte Gefühle zu erleben, gleichzeitig merken, daß diese Gefühle von etwas ausgeflippteren Menschen genau das sind, was wieder gewollt ist von den Medien…
Autorin
2005, vorbei sind die Zeiten des Medienhypes und der blühenden dot.com-Landschaften, Falk Richter inszeniert sein jüngstes Stück, “Verstörung“ an der Berliner Schaubühne, und das Leben ist nicht mehr virtuell, sondern in der Angst um den Arbeitsplatz eingefroren. Gefühle? Auch die sind keine brauchbaren Waren mehr, sondern bloß eine Atemwolke, die man aushaucht in die klirrende Kälte, sichtbar nur sekundenlang. Weihnachten naht, ein Berliner Weihnachten, die Temperaturen sinken, und das Datum der Premiere scheint gewählt worden zu sein, damit die Verflechtung verschiedener Realitäts- und Fiktionsebenen, die in Richters Theater mal wieder zu besichtigen ist, sich leichter auf den außertheatralischen Raum übertragen läßt. Denn “Verstörung“ spielt in einer frostigen Weihnachtsnacht. Irgendwo im großkoalitionären Deutschland post Harz IV. Kinder werden am Flughafen vergessen, Alte warten im Pflegeheim auf den Anruf ihrer erwachsenen Söhne. Ein Junge – ein gestrandeter Schauspieler vielleicht – bibbert vor Kälte, weil die Heizung nicht mehr zur Grundausstattung einer Wohnung gehört. Unablässig werden Unfälle gemeldet. Und Einsame, die in einer Klinik Zuflucht suchen, wirft die Stationsärztin wie Ballast hinaus.
O-Ton, Track 22
Es ist jetzt in diesem Stück wirklich jeder für sich alleine verantwortlich, es sind alle Grundvereinbarungen von Solidarität und Miteinander, und daß man aufeiander aufpaßt, auch in der Familie außer Kraft gesetzt und jetzt ist wirklich jeder ein Einzelkämpfer geworden.
Autorin
Tatsächlich: Lauter Einzelkämpfer, seelisch Verkrüppelte sind die Figuren. Sie bringen den größten anzunehmenden menschlichen Unfall über die Bühne: Sie, die alle zwischenmenschlichen Verbindungen zugunsten von Job, Selbstverwirklichung und Erfolg auf Eis gelegt haben, verwandeln sich auf einmal in Liebeshäscher, die verzweifelt nach Nähe grapschen. Freilich vergeblich.
O-Ton, Track 26
Ich denke, daß diese Szenen und die Verhältnisse unten den Menschen in meinem Stück schon was treffen im Moment, eine Welt, in der jeder // sehr egoistisch ist, auch das wird immer wieder gefördert im Moment, daß man egoistisch sein muß, um überhaupt zu überleben, die, die eine gewisse Weichheit zeigen, die fallen durchs Raster, und es wird etwas brutaler und härter im Umgang miteinander in unserer Gesellschaft.
Autorin
Schon in Richters Stück “Unter Eis“, das er vergangenes Jahr an der Berliner Schaubühne zur Uraufführung brachte, lagen alle menschlichen Regungen kältestarr zwischen den Zeilen. Die moderne Arbeitswelt, die der Regisseur und Dramatiker dort auf ihre ideologischen Prämissen hin untersuchte, verlangt permanente Effizienz, Profit- und Leistungsmaximierung. Emotionale Störungen, die sich der unternehmerischen ratio entgegenstellen, sind darin unerwünscht, ebenso wie die Leistungsschwächeren, die dem Wirtschaftskreislauf nicht dienen und deshalb auf schnellstem Wege wegrationalisiert werden müssen. Auch wenn es niemand zugeben mag, “Homo homini lupus“ lautet das einzig gültige Gesetz im System, das unsere Lebenswelt in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ausmacht. So Falk Richters Diagnose. In der Stück-Reihe “Das System“, der auch “Unter Eis“ angehört, hat er das große undurchschaubare Ganze auf die drei Subsysteme Medien, Krieg und den politisch-ökonomischen Zusammenhang zurückgeführt. Und festgestellt, daß sie mittlerweile nicht mehr steuerbar sind.
O-Ton Track 30// Track 21
In meinem Stück “Unter Eis“ habe ich im Grunde sowas beschrieben, daß eine Gesellschaft oder der gesamte Westen aber auch die neuen Länder, die in diesem neuen Kapitalismus mitmachen wollen, sich nur noch darum bemühen, effizient zu sein, auf dem Weltmarkt zu bestehen und dabei unheimlich viel über Bord schmeißen. Alle Gesellschaften oder Staaten verschlanken sich im gewissen Sinne, bauen soziale Netze ab und versuchen auch dadurch auf dem Weltmarkt mitzuhalten. Es ist auch so, daß es keinen Ort mehr in der Gesellschaft gibt, der nicht davon ergriffen ist. Vielleicht ist der Bogen von Unter Eis zu dem Stück Verstörung, daß was in dem Stück “Unter Eis“ auf der Wirtschaftsideologieebene verhandelt wird, und theoretisch verhandelt wird, plötzlich bei jedem Einzelnen und jedem Menschen angekommen ist.
Autorin
Das heißt: Wir stecken alle im System und das System steckt in uns. Es gibt kein Entrinnen. Es sei denn vielleicht, wir werden der Tatsachen gewahr. Im Theater oder sonstwo.
„Innen Stadt Außen“, eine Ausstellung von Olafur Eliasson im Berliner Martin-Gropius Bau , WDR 3/Resonanzen
Atmo: Stadtrauschen / Vogelgezwitscher
Autorin
Was wäre, wenn man von dem graublaustichigen Berliner Licht in Nebelschwaden geriete, die vom Rot ins Blau, Grün und Gelb wechselten? Oder in ein Spiegelkabinett, dessen eine Spiegelwand so wogt, dass es einem schwindlig wird? Wenn man seinen Schatten fünf- oder siebenfach und verschiedenfarbig sähe? Gewiss würde man an seinen Sinnen, oder wenigstens an seiner Sehkraft zweifeln. Das genau ist die Absicht bei den Arbeiten Olafur Eliassons, und nicht nur bei jenen, die jetzt im Berliner Martin-Gropius Bau zu besichtigen, besser gesagt: zu erleben sind. Die Wahrnehmung des Betrachters, das Sehen, ist für den Künstler – so seine Worte – kein naturgegebenes Faktum, sondern eine kulturelle Entwicklung. Ich sehe, also bin ich aktiv, ich wirke auf das Außen, ich schaffe das Außen – so lautet sein Postulat. Ebenso wie seine Vorstellung von Zeit als Dauer, die dem Subjekt innewohnt. Schlüsse, die er aus der Lektüre des Philosophen Bergson zieht. Womit Eliasson die Idee verknüpft…
O-Ton 1
… dass Dauer noch produktiv sein kann. Wir bewegen uns in einem Raum, oder in einer Gesellschaft, die sich hauptsächlich, die drei Dimensionen dominierend sind. Die Zeit ist zwar noch da, aber sie ist tendenziell weniger produktiv als der Raum in sich. Besonders wenn es um Kommerz geht, weil es als kritische Komponente gesehen wird. // Natürlich hat die Zeit auch den Vorteil, dass es auch das Veränderliche, das Vielfältige oder Unvorhersehbare zulässt.
Autorin
Insofern ist Zeit auch in politischer Hinsicht ein Wert, der unserer Gesellschaft abhanden gekommen ist. Eliassons Anspruch, dem Betrachter seine subjektive Wahrnehmung bewusst zu machen, geht mit jenem einher, einen öffentlichen Raum zu schaffen, der wirklich demokratisch ist. Was der Künstler am Beispiel eines Parks veranschaulicht, den er im Auftrag der Stadt Berlin umgestalten musste. Zunächst lief er durch den Park und machte Alltagsbeobachtungen. Er betrachtete, wie eine Dame mit Hund an ihm vorbeiging, und stellte dabei fest, dass seine und ihre Zeit offensichtlich verschieden waren.
O-Ton 2
Wie schaffen wir einen tatsächlich öffentlichen, einigermaßen freien Raum, diesen nicht-normativen Raum?// Wären die Benutzer des Parks die Träger der Zeit, dann könnte man den Park andersrum gestalten und nicht so, als würden wir ein Bild, eine repräsentative Idee von oben nach unten in die Stadt aufdrücken. // Vielleicht schaffen wir eine Art der Entwicklung von einem Projekt, in der die Teilnahme der Zeit/ die Idee der Öffentlichkeit selber mitproduziert.
Autorin
Man hat Olafur Eliasson Wahrnehmungskünstler, Wissenschaftler, Phänomenologe genannt. Aber das Verhältnis von Raum und Zeit ist für Eliasson, von der Theorie abgesehen, auch eine konkrete Erfahrung, die er in der isländischen Landschaft gemacht hat. Dort, erklärt er, lassen sich die Größen von Bergen und Wasserfällen an der Zeit messen, die man braucht, um sich ihnen zu nähern. In Kopenhagen geboren, aber isländischer Herkunft, nimmt Eliasson immer wieder auf die Natur der Insel Bezug. Auf Island, sagt er, gebe es keine Bäume, doch finde man am Strand immer wieder Baumstämme, die Meeresströmungen aus Sibirien angeschwemmt haben. 50 Tonnen dieser Baumstämme hat Eliasson nach Berlin transportieren lassen und über die Stadt verteilt.
O-Ton 3
Das sieht genauso aus wie in Island. Nur dass hier schon Bäume sind. Aber hier ist halt kein Meer, Eismeer erst gar nicht. Die sind so platziert, als wäre eine Strömung durch die Stadt gegangen, und da sind sie halt hängen geblieben in der Stadt.
Autorin
Ebenso wie andere Objekte, die Eliasson über die Stadt verstreut hat, sind die Stämme Teil der Ausstellung „Innen Stadt Außen“. Manche Berliner haben sie verstört angeguckt, andere haben sich darauf gesetzt, als wären es Bänke. Ob sie jemand als Sinnbild jenes Zeitstroms wahrgenommen hat, der Dinge, Natur, Städte und Menschen verändert?