Gewaltige Ohrfeige von der Angebeteten. „Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“ von Christian Frascella, Deutschlandfunk, 07.09.2012
Aus der Ich-Perspektive schildert Autor Christian Frascella das Leben eines nicht gerade in glücklichen Umständen heranwachsenden Vorstadtitalieners. Realistisch ist Frascellas Erstlingswerk, nicht zuletzt durch eine direkte, rotzige Spreche, die bisweilen an den derben Jargon von Gassenjungen erinnert.
Wie lebt es sich als Teenager an der Peripherie einer italienischen Industriestadt? Wo es weder ein Kino noch ein Theater gibt und auch keinen richtigen Treffpunkt für Jugendliche? Nur einen kleinen Platz, an dem Jungs Joints rollen und Dosenbier kippen.
Die Szenerie, in der Christian Frascella seinen Debütroman „Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“ angesiedelt hat, ist ein Paradebeispiel für die Trostlosigkeit italienischer Vorstädte – nicht gerade Orte, die die beste Vorbedingungen für ein glückliches Heranwachsen bieten. Da passt die Kraftmeierei des 16-jährigen Protagonisten und Ich-Erzählers des Romans bestens ins Bild. Kein Zufall, dass wir ihn gleich zu Beginn in einer Schlägerei auf dem Schulhof verwickelt sehen. Wie auch, dass er wegen des Streits von der Schule suspendiert wird und beschließt, sie ganz abzubrechen. Denn welche Aussicht
Monolog eines Irren / Ascanio Celestini: „Schwarzes Schaf“, Deutschlandfunk, 26.04.2012
Ascanio Celestini ist in Italien ein Star. Schauspieler, Theater- und Filmautor, wird er oft mit Dario Fo verglichen. Sicherlich wandelt das junge Multitalent auf den Fußstapfen des großen Komikers, der oft auch auf Historisches Bezug nimmt. Nun also: der Monolog eines Irren.
„Du bist der faule Apfel, dich kann man auf den Müll schmeißen. Du bist das schwarze Schaf, dir ist nicht zu helfen.“
So sagte die Lehrerin Nicola, und der Beschimpfung ist der Titel von Ascanio Celestinis Roman „Schwarzes Schaf. Nachruf auf die elektrische Irrenanstalt“ entliehen: der Monolog eines Irren, der sich zum Toten erklärt, um dem Leser sein früheres Leben zu erzählen – aus der Ferne, die den Toten eigen ist, und freilich auch den Verrückten gebührt.
„Ich bin dieses Jahr gestorben. Alle wollten dieses Jahr sterben. Wer bis heute gelebt hat, hat alles gesehen, was man sehen konnte. Er hat Hunde im Weltall gesehen, Menschen auf dem Mond und einen Roboter mit Rädern auf dem Mars. Er hat New York, London und Madrid in die Luft fliegen sehen, und nicht mehr nur Kabul und Bagdad. Er hat das Kinderüberraschungsei gesehen, das aus jedem Tag des Jahres ein ewiges Ostern macht.
Die Münze von Akragas, ein Buch von Andrea Camilleri, WDR 3, Passagen
Autorin
Nicht um große Kapitale, um eine kleine Münze dreht sich hier alles. Sie ist nur 1,78 Gramm schwer, allerdings aus Gold und ganz hübsch verziert: Die eine Seite zeigt einen Adler mit ausgebreiteten Flügeln und einen Hasen, die andere einen Krebs und einen Fisch. Auch hat das Goldstück eine tausendjährige Geschichte hinter sich, das seinen Wert ins Unermessliche steigert. Es wurde im Jahre 406 vor Christi Geburt im sizilianischen Akragas geprägt, um den Soldaten, die die Stadt verteidigten, ihren Sold zu zahlen. Akragas, das heutige Agrigent, wurde jedoch kurz darauf von den Karthagern vernichtet; die Eroberer metzelten 1500 Söldner nieder. Nur einer soll – zumindest in Camilleris Version der Geschichte – dem Massaker entkommen sein: Kalebas, dem es gelang, sich aus einem Leichenberg hinaus zu winden und in die unterirdischen Kanäle zu schleichen, die außerhalb der Stadtmauern führten. Als er aber mit dem linken Fuß aus dem Stollen ins Freie trat, wurde er von einer Viper gebissen und stürzte, nach drei Tagen Todeskampf, vom Felsvorsprung, an dem sich der Ausgang des Schachts befand. Aber davor schleuderte Kalebas die 38 Münzen seines Solds, die er in einem Säckchen trug, weit von sich.
So die Vorgeschichte der „Münze von Akragas“, die Andrea Camilleri im ersten, „Quasi eine Prämisse“ überschriebenen Kapitel seiner Erzählung darlegt. Und schon schwant es dem Leser: Ein Fluch liegt auf der Münze.
Die folgenden Kapitel bestätigen diese Annahme. 2315 Jahre liegt die Münze in der Erde. Als ein Landarbeiter sie aus einer Scholle ausgräbt, richtet die Münze Unheil an. Zumindest solange, bis sie Italiens König Vittorio Emanuele III. übergeben wird.
Ein Lustspiel, oder eine etwas ulkige Parabel auf die zerstörerische Macht des Finanzwesens? Die Frage ist nicht restlos zu beantworten. Denn Andrea Camilleri ist ein hintersinniger Autor, der sich ungern in die Karten schauen lässt. Dem anklagenden Fingerzeig zieht er die heitere Ironie vor, und Realitätsbezüge, ob auf die Gegenwart oder die Historie, versetzt er, augenzwinkernd freilich, in die Dunstzonen der Legende. So heißt sein Agrigent, hier wie in all seinen Werken, Girgenti, und wie Kommissar Montalbano aus Camilleris beliebter Krimi-Serie lebt die Hauptfigur von „Die Münze von Akragas“ in der fiktiven sizilianischen Kleinstadt Vigata. Dieser Doktor Stefano Gibilaro, Amtsarzt von Vigata teilt mit dem Kommissar nicht nur Wohnsitz und Alter – er ist nämlich gerade fünfzig geworden – sondern auch die altersgemäßen Schwächen:
Zitat
Er macht das Badezimmerfenster weit auf. Die Nacht ist sternenklar, aber kalt. Er betrachtet sich im Spiegel. Und erliegt vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben einem Anflug von Eitelkeit. Na ja, für einen Fünfzigjährigen sieht er gar nicht übel aus. Im Gegenteil. Er könnte sich gut und gerne ein paar Jährchen abziehen. Und als tüchtiger Arzt weiß er, dass seine inneren Organe alle noch in Ordnung sind, ganz ohne Zipperlein. Er stutzt sich mit der kleinen Schere ein wenig den Schnurrbart.
Autorin
Eine ehrliche Haut ist der Amtsarzt, und ein Musterbild des Pflichtgefühls. Die armen Landarbeiter, die wie Leibeigene für einen Hungerlohn auf den Feldern der Barone schuften, behandelt er gratis. Diesem Doktor, der auch ein leidenschaftlicher Numismatiker ist, gönnt der Leser gerne die rare Goldmünze. Der Landarbeiter Cosimo Cammarota, der sie im Boden gefunden hat, will sie ihm aus Dankbarkeit schenken. Doch bevor der Arzt in den Besitz der Münze kommt, wird Cammarota ermordet.
Es entspinnt sich ein Krimi, dessen Volten Andrea Camilleri mit dem ihm eigenen Humor erzählt. Der gescheite Arzt klärt den Mord sehr schnell auf, wenigstens für sich. Die eigentlichen Ermittlungen muss er aber den zuständigen Beamten überlassen und hat seine Liebe Mühe, sie auf die richtige Spur zu lenken. Abermals lässt sich Camilleri die Gelegenheit nicht entgehen, die Unbedarftheit von Gesetzeshütern und Bürokraten ironisch aufs Korn zu nehmen. Einmal führen die Polizisten einen geisteskranken und eines Mordes augenscheinlich unfähigen Jungen ab, ein andermal hindert sie der gellende Schrei einer Bäuerin im letzten Moment daran, ihre Haustür einzustoßen, um ihren längst verstorbenen Gatten zu verhaften. Und wenn sie endlich dem wahren Mörder auf der Spur sind, finden sie an seiner Stelle den verschreckten Liebhaber seiner Frau. Vorfälle, die Doktor Gibilaro auf seltsame Gedanken bringen:
Zitat
Mit alledem drückt die Münze ihren Wunsch aus, nicht wieder in der Welt zu erscheinen, sondern in jene Erde zurückzukehren, aus der man sie eines Tages geholt hat. Jedenfalls will sie niemals, aus keinem einzigen Grund, in seiner armseligen Sammlung enden. Es ist, als weigerte sich eine Kaiserin zu Recht, in einem elenden Loch zu hausen.
Autorin
Nachdem Mörder und Münze endlich gefunden worden sind, treten juristische Komplikationen auf. Wem gebührt die kostbare Münze, nachdem deren Entdecker gestorben ist? Mehrere melden Anspruch darauf. Schließlich löst eine mit allen Registern der Überzeugungskunst geführte Pressekampagne den Fall zugunsten des Doktors Gibilaro: eine wunderbare Satire über die Manipulationsmethoden der Medien, wie sie der Autor im heutigen Italien kennt. Dass dann die Münze von Akragas erst einmal Gibilaro zufällt, dass der edelmütige Amtsarzt sie dann dem König schenkt, welcher sich mit Ehrungen und Wohltaten bedankt, kommt als Happy End nach der Formel erbaulicher Fabeln daher. Zwischen den Zeilen lässt sich aber auch ein Doppelsinn lesen: Geld muss stets im Kreislauf bleiben – um schließlich immer in Taschen zu landen, die bereits voll sind.